Change-Projekte brauchen auch den Mut, sich intensiv mit Tabus zu befassen
Führungskräfte und Mitarbeiter hoch motiviert, externe Berater und Experten extrem kompetent … und doch scheitern viele Change-Projekte oder geraten in den Treibsand-Modus, wo Teilprojekte langsam versickern und der Projektabschluss immer weiter in die Ferne rückt.
Der Grund dafür liegt häufig in den Tabus – in denjenigen Themenbereichen, die innerhalb der Organisation nicht angesprochen werden.
Und das führt, übrigens in jedem Coaching, zu der schmerzhaften Wahrheit: „Themen, die nicht offen gelegt werden, können auch nicht bearbeitet werden.“
Wer also in Change-Projekten die teils tief vergrabenen Tabus umgeht, bleibt zwangsweise an der Oberfläche – und verbaut sich damit die Möglichkeit, die Menschen wirklich in die anstehenden Veränderungen einzubeziehen, so dass sie aktiv dabei sind.
Nur das führt zu echter Akzeptanz.
1. Gefühle werden ausgeblendet
Dass Change-Projekte nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn auch die Mitarbeiter motiviert sind, ist allgemein bekannt. Von Wertschätzung und Sinn liest man, und auch von Leidenschaft und ähnlichen gefühls-orientierten Themen. Soweit, so gut. Aber was ist mit Wut, Angst, Trauer, Entmutigung, Eifersucht, oder Einsamkeit? Diese Gefühle sind häufige Reaktionen auf das Thema „Digitalisierung“. Viele sehen sich bedroht von Jobverlust, sehen sich schon wegrationalisiert und geraten in den Strudel von Minderwertigkeitsgefühl bis zur nackten Existenzangst. Und in diesem Gefühlscocktail bleibt die konstruktive Mitarbeit oder auch das motivierte Umsetzen des Change-Prozesses eine Illusion. Die beste zu erwartende Reaktion ist Resignation („ich mach halt das, was man mir sagt – wenn ich kann“), oder auch trotziges Festhalten am Status Quo („das haben wir immer schon so gemacht“).
Ein erfolgreiches Change-Projekt erfordert die konkrete Auseinandersetzung mit den Gefühlen der Mitarbeiter. Dies gilt für Team UND Führungskraft – und schließt explizit auch die negativen Gefühle ein.
Wenn ein Mitarbeiter sich im Change-Prozess und auch in seiner künftigen Rolle im Unternehmen wie einen „Business-Roboter“ vorstellt, wird er bewusst rebellieren oder – wesentlich wahrscheinlicher – unbewusst das Change-Projekt sabotieren. Das Change-Projekt kann sich so in ein langwieriges und kräftezehrendes Gezerre verwandeln – und von der ursprünglichen Inspiration, Hoffnung und Freude ist bald kaum noch etwas übrig.
WICHTIG: Change-Prozesse müssen die Gefühle der Menschen berücksichtigen und gezielt adressieren
2. Viele Menschen wissen nicht, wie man lernt
Change-Projekte dienen der Anpassung vorhandener und Implementierung neuer Prozesse, also die Aufgaben künftig anders zu erledigen als vorher. Zur Umsetzung ist dafür auch ein Wissensangebot nötig, sowie Formate, die dieses Wissen vermitteln. Daraus resultiert die Anforderung an Teams und Führungskräfte, das neue Wissen aufzunehmen und auch umzusetzen.
Die meisten Menschen stehen genau damit schon vor einem Riesenproblem, denn sie haben nie gelernt, systematisch und handlungsorientiert zu lernen.
In unserer dynamischen Wirtschaftswelt und ganz besonders bei Change-Projekten wird diese Lern-Inkompetenz zu einer enormen Herausforderung. Denn viele Mitarbeiter bemerken dieses Defizit selbst gar nicht, oder sie schämen sich dafür.
Ähnlich wie Analphabeten bleiben sie häufig sehr lange unbemerkt, sie wurschteln sich irgendwie so durch. Nur im Change-Projekt klappt das nicht mehr, weil die Lerndefizite rasch sichtbar werden.
WICHTIG: Change-Prozesse müssen den Menschen Lern-Kompetenzen vermitteln.
3. Führungskräfte glauben, Change nicht nötig zu haben.
Für viele Führungskräfte ist die Begegnung mit einem Change Projekt ein irritierendes Erlebnis. Zunächst gehen sie davon aus, dass ihre eigene berufliche Entwicklung „fertig“ ist, sie also im Change-Projekt nur steuern müssen und selbst gar nicht von Änderungen betroffen sein würden. Verändern sollen sich ja nur die Anderen. Die eigene Kompetenz und Erfahrung sind doch gewiss ausreichend.
Diese Haltung bringt das komplette Change-Projekt in Gefahr. In solchen Fällen braucht es Kollegen in der Führungsebene, die ihren „fertigen“ Kollegen deutlich machen, dass wirklich jeder sich reflektieren muss. Und wer das nicht akzeptiert und umsetzt, wird dann schnell selbst zum Auslaufmodell.
Wenn Organisationen einen Change-Prozess durchlaufen, bedeutet das auch immer, sich selbst zu verändern, sich an die neuen Anforderungen anzupassen und die Bereitschaft, dazuzulernen. Wer von „lebenslangem Lernen“ spricht, selbst aber nicht mitmacht, entlarvt sich als „Phrasen-Drescher“. Für den Erfolg des Change-Projektes ist es unverzichtbar, dass die Führungskräfte ihre Rolle als Vorbild und Multiplikator akzeptieren und entsprechend handeln. Sie haben also die Pflicht zur konstruktiven Selbstreflexion.
WICHTIG: Change-Prozesse müssen die Lernbereitschaft auch der Führungskräfte einfordern – nicht zuletzt wegen ihrer Vorbild-Funktion
Fazit:
Mit diesen 3 Tabus haben Sie einen ersten Eindruck gewonnen, wie wichtig der menschliche Faktor ist.
Dass jedes Change-Projekt neben den organisatorischen Kernthemen eben auch die emotionalen Aspekte berücksichtigen muss, um erfolgreich abgeschlossen zu werden. Und dass die Menschen mit ihren – bewussten und unbewussten – Reaktionen auf die Herausforderungen einen unmittelbaren Einfluss auf Entwicklung und Fortschritt des Change-Projekts haben.
Damit steht und fällt die Zeitachse, und daran hängt eben auch der wirtschaftliche Erfolg des Change-Projekts.